Mittwoch, 16. April 2014

Vegan und Gefährlich!

Obwohl ich in meinem Leben schon eine gute Reihe von Entscheidungen getroffen habe, die nicht mehrheitskonform waren und dementsprechend auch nicht immer auf begeisterte Zustimmung gestossen sind, so war ich dennoch unvorbereitet auf die z.T. heftigen Reaktionen, die mein Entschluss, dass ich fortan auf jegliche tierische Produkte (also inklusive Milch und Eier) verzichten werde, hervorgerufen haben. Von „das ist zu Radikal“ über „ihr Veganer seid alle so verurteilend“ bis „Vegan - das ist ein Kult!“ habe ich so ziemlich alles über mich ergehen lassen müssen. Manchmal wurde ich auch einfach nur so verständnislos belächelt als wäre ich ein weltfremder Trottel oder wiederum persönlich attackiert im Sinne von „ach, du bist also so ein scheinheiliger Gutmensch, der uns dann auch noch seine persönliche Moral aufdrängen will“ (ein hervorragendes Beispiel von argumentum ad hominem: Man greift die Person an und diskreditiert sie a priori, anstatt sich auf eine sachliche Diskussion einzulassen).

Wow!

Dass der Verzicht auf Milchprodukte und Eier in unserer Gesellschaft so verbreitet, so vehemente Reaktionen hervorrufen kann, deutet wohl darauf hin, dass hier eine ganze Reihe von bewussten und unbewussten – verdrängten – Selbstauffassungen, Lebensgewohnheiten, gesellschaftlichen Tabus und wirtschaftlichen Interessen in Frage gestellt werden.

Solange der Bevölkerungsanteil an Menschen, die aus ethischer Überzeugung oder gesundheitlichen Überlegungen keine tierische Produkte konsumieren, vernachlässigbar klein ist, bleiben Reaktionen, wie ich sie erlebt habe, auf einer rein persönlichen Ebene und zeitlich begrenzt. Sollte aber dessen Bevölkerungsanteil wachsen und dieser gar gesellschaftliche Forderungen geltend machen (z.B. vegane Menu-Optionen in Mensen oder ein offener gesellschaftlicher Diskurs über die bis ins letzte Detail ertragsoptimierte, industrielle Methodik unserer Nahrungsmittelbeschaffung und dessen Konsequenzen für die Nutztiere, die Umwelt und die Stakeholder ärmerer Weltregionen), werden die wirtschaftlichen (und dadurch auch politischen) Interessen voll ins Spiel gebracht. Denn: Abgesehen davon dass die Landwirte eine disproportionale, stolze Anzahl an Parlamentariern in der Schweiz stellen, sind der Bauernverband und die Nahrungsmittelindustrie finanziell bestens dotiert und mit den Hebeln der Macht vernetzt– sei dies mit den Medien und den damit verbundenen Werbebranche, dem Politikbetrieb oder der staatlichen Verwaltung, z.B. dem BAG (Bundesamt für Gesundheit) oder dem BAFU (Bundesamt für Umwelt). Eine massive Kampagne auf wirtschaftlicher und politischer Ebene, inklusive der gezielten öffentlichen Meinungsgestaltung, ist somit vorprogrammiert, wobei ein wachsender und seit ein paar Jahren nun erstmals auch organisierter Bevölkerungsanteil (siehe http://www.vegan.ch/), der sich bewusst von unseren heutigen Nahrungsmittelbeschaffungsmethoden distanziert, kaum mithalten können werden.
Dennoch wird dieser gesellschaftliche Diskurs unabdingbar, nicht so sehr wegen der triftigen empathischen oder gesundheitlichen Argumente, aber weil unser heutiges Nahrungsmittelkonsumverhalten schlicht und einfach auf die Dauer unhaltbar ist. In diesem Zusammenhang muss man sich auch fragen, inwiefern wir „nicht mündige“ Stakeholder – also Menschen in armen Gegenden der Welt, die noch nicht geborenen Generationen an Menschen und eben auch die Tiere, die die Konsequenzen von unserem Konsumverhalten auch zu tragen haben, berücksichtigen wollen.
Wichtig in diesem Zusammenhang ist aber, dass dieser Diskurs möglichst ohne Schuldzuweisungen und Verurteilungen vonstatten geht. Es geht hier nicht z.B. um die Milch- und Eierbauern, die sogar in der Schweiz mit ihren Milliarden an Direktzahlungen vermehrt auch unter der ultimativen Ratio eines Marktes zu operieren haben wo - allem Bio zum Trotz - nur noch der Preis pro Menge zählt, zu verurteilen oder den traditionsbewussten Fonduegeniesser als Unmensch darzustellen. Gleichwohl gilt es aber auch, auf „Veganer“ Rücksicht zu nehmen und sie nicht a priori als radikale Gutmenschen abzuservieren. Jeder Mensch ist letztendlich in seiner sozialen und kulturellen Einbettung schlicht unfähig, immer alles in Betracht zu ziehen und seine Gewohnheiten – mit denen er/sie oft sentimental verbunden ist – grundsätzlich in Frage zu stellen und zu ändern. So sind wir alle täglich mit all unseren kleinen und grossen Problemen beschäftigt oder anderseits durch das Leben abgelenkt, dass wir uns für alle unangenehmen „Wahrheiten“ und dessen abgeleiteten Verhaltensänderungskonsequenzen öffnen könnten.
Ein gutes Beispiel hier bin ich ja selbst: Obwohl ich auf einer Ranch mit Rindern in den USA aufgewachsen bin und ein Sommer mehrere Wochen auf einem Milchbauernhof in der Schweiz gearbeitet habe, brauchte ich Zeit, bis ich so weit war, mich vertiefter mit der Materie auseinanderzusetzen und dann auch die Energie aufzubringen, um mein Verhalten mit dem Verstandenen, mit meinen Werten und meinem Empathieempfinden in Einklang zu bringen. Trotzdem aber ist eine Zivilisation auf die Dauer nur entwicklungsfähig und dadurch überlebenstauglich, wenn sie sich periodisch selbstkritisch hinterfragt – auch wenn man dabei an wirtschaftlichen Interessen, gesellschaftlichen Tabus und historisch tief verankerten Traditionen rüttelt. Amos Oz, ein Israelischer Schriftsteller, schrieb einst, dass die Neugier und die Bereitschaft, auch das Unangenehme zu erkunden, als Teil der menschlichen Ethik verstanden werden sollte.
Übrigens: In diesem Zusammenhang war es für mich spannend zu entdecken, wie einfach und schnell man seine Essgewohnheiten ändern kann, so dass man dies gar nicht mehr als Verzicht wahrnimmt. Es lohnt sich durchaus als persönliches Experiment, einfach mal einen Monat lang auf tierische Produkte zu verzichten, auch wenn dies ausser Haus vielleicht nicht immer gelingt. Das Erlebnis, seine fest eingefahrenen Gewohnheiten so rasch verändern zu können, um Neues zu entdecken und zu kreieren, bemächtigt, befreit und belebt nämlich auch auf wunderbarer Art und Weise!

Manuel Dawson
 

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