Mittwoch, 13. Januar 2016

Klima-Stakeholder: Lieben wir unseren Planeten zu Tode?


Ob spontaner Wochenendausflug in die herrlichen Berge um den Chef zu vergessen oder die langersehnte Überseereise zu den bunten Korallenriffen um den Geist auszulüften, Reisen ist für viele Wohlstandsbürger der Schweiz zu einem Selbstverständnis geworden wie der Dessert nach einem gemütlichen Abendmahl. Aber Reisen, wie auch (zu viele) Desserts, hinterlassen bekanntlich unerwünschte Spuren, auch wenn diese nicht immer unmittelbar erkennbar sind.

Es wird prognostiziert, dass bis zum Jahr 2020 rund 45% aller Treibhausemissionen in der Schweiz durch den Verkehr verursacht werden, wobei dem Flugverkehr mit 24% mehr als die Hälfte von dessen zuzuschreiben ist. Nun  schlägt bereits ein einziger Flug Zürich-New York retour mit 2‘345 Tonnen CO2 zu Buche, was einer grösseren Menge Treibhausgase entspricht, als einer Person pro Jahr maximal zuzugestehen ist, um den Klimawandel mit all seinen ökologisch heiklen Auswirkungen zu bändigen.
In diesem Kontext ist es bedenkenswert, dass nur rund fünf Prozent aller Menschen auf der Erde überhaupt je ein Flugzeug bestiegen haben. Es werden aber vor allem die ärmeren Erdbewohner sein, die am stärksten unter der durch die Klimaveränderung hervorgebrachte Umweltdegradierung zu leiden haben. Denn sie verfügen nicht über den gleichen wirtschaftlichen Spielraum und die technologischen Instrumente, um eine ökologische Erosion oder gar einen Kollaps abfedern zu könnten.
 

Spuren in die Ferne

Erweiterung des Stakeholder Ansatzes
Die Frage stellt sich nun, inwiefern der Stakeholder-Ansatz wie er an unserem Institut erforscht und gelehrt wird, auch auf die Klimafrage anwendbar ist. Wenn man einen Stakeholder durch die Tatsache definiert, dass er, bzw. sie, erstens (1) als ein Subjekt (anstatt ein Objekt) mit einer inhärenten Würde (zweckunabhängigen Wert an sich) anerkannt wird, und zweitens (2) an einer Handlung sowohl etwas zu gewinnen wie auch zu verlieren hat, so müssen alle Menschen auf der Erde, wie auch unser ganzes Erdbiotop, inkl. allen Tiere und Pflanzen, berücksichtigt werden.

Ferner stellt sich die Frage, ob den zukünftigen Generationen in diesem Sinne auch Rechnung getragen werden soll. Ist es angebracht, auch unsere Kinder und Grossenkel gleichberechtigt als Stakeholder einzubeziehen, auch wenn man noch nicht definitiv wissen kann, wer genau wie von unserem treibhausgasintensiven Lebensstil betroffen sein wird? Wie ist ein freiwilliger oder durch staatliche Instanzen erzwungener „Verzicht“ (z.B. maximal eine Ferienflugreise mit 2‘000 Tonnen CO2 Ausstoss pro Jahr) eines Stakeholders heute mit dem möglichen „Verlust“ (z.B. die Gewährleistung einer ausreichenden Nahrungsmittelverfügbarkeit in Entwicklungsländern) eines Stakeholders morgen zu vergleichen? Kurz: Wie sind heutige Tatsachen mit prognostizierten Wahrscheinlichkeiten zu gewichten?
Einfache Antworten gibt es darauf nicht; dennoch wage ich die Vermutung, dass es für die meisten von uns, wenn wir uns einmal bewusst auf diese moralische Problematik einlassen, durchaus nicht gleichgültig ist, was die Konsequenzen unseres Handelns für unsere Nachkommen sind.


 

 
Lehren der Klimakonferenz…
Obwohl die Klimakonferenz in Paris summa summarum als ein Erfolg verbucht wird, ist es dennoch evident, dass der politische Weg zu Reformen nicht nur holprig, sondern vor allem aber zu langsam ist. In diesem Zusammenhang können die folgenden Lösungsansätze durchaus sinnvoll sein…
 

…Gesetzliche Verordnungen (Quoten, Plafonds, Verbote)

  …Marktbasierende Lenkungsmittel (Taxen, Abgaben, Emissionshandel)
 
 …Green-Tech Innovation (Investitionen, Subventionen)
 
…Recycling (Effektivität verbessern, Zugang erweitern)
 
…Bevölkerungswachstum bremsen (Ecopop…auf Turbo)
 

…verleiten aber zu einer Art Entmündigung des einzelnen Bürgers. Die Eigenverantwortung wird somit an diffuse „staatliche Institutionen“, „NGOs“, oder „Marktmechanismen“ delegiert. Wir stimmen politisch vielleicht für „grüne“ Anliegen, Spenden hie und da etwas Geld für ein Ökoprojekt, und gehen am Wochenende brav „recyceln“. Dennoch schleicht sich die unterschwellige Botschaft in unsere Psyche: „Ich kleines Würstchen kann ja alleine nichts richten, das müssen schon die da oben hinkriegen!“
 

 
Die Erde als Spielplatz: Delikat, Fragil und Schön (1) !

 
 
Einsichten in die menschliche Natur…

In der Tat, es liegt wohl in der genetisch bedingten Natur vom homo sapiens, dass wir eindrucksvolle Akrobaten im Rationalisieren sind, vor allem wenn es darum geht, unsere Kognitive Dissonanz (einen als unangenehm empfundenen Gefühlszustand, der dadurch entsteht, dass ein Mensch mehrere nicht vereinbare – gegensätzliche - Werte, Meinungen, oder Wünsche zur gleichen Zeit hat) zu mildern. Folgende Dissonanzen sind uns möglicherweise bisweilen vertraut:
·         Konformität: „Na, wenn die so tolle Reisen machen, dann darf ich es ja auch…“

·         Bagatellisieren: „Es ist ja eh nicht so schlimm; dann säumen halt Palmen die Bahnhofstrasse…“

·         Ohnmacht: „Meine Selbsteinschränkung ist ja sowieso nur ein winziger Tropfen auf den eh immer heisser werdenden Stein…“

·         Gleichgültigkeit: „Nach mir die Sintflut…oder halt die Dürre!“

Dennoch lehrt uns die Geschichte, dass dem Menschen – wie auch einer ganzen Zivilisation - durchaus das Potential inne liegt, tiefgreifende und durchdringende Verhaltensnormen zu revidieren: man denke z.B. an die Sklaverei oder das Patriachat, allesamt mit ihren unappetitlichen Begleiterscheinungen, Institutionen und Attitüden. Dazu müssen aber die oben im Zusammenhang mit der Klimakonferenz erläuterten Lenkungsmechanismen mit Verhaltensveränderungen eines jeden Einzelnen ergänzt werden. Und dazu braucht es Introspektion, eine Umgestaltung des eigenen Lebensstils und möglicherweise sogar eine Umdeutung des Lebenssinns.
Es ist realistischer Weise natürlich höchst unwahrscheinlich, dass sich ausreichend viele Menschen frühzeitig genug für eine Selbstbeschränkung entscheiden werden, die tatsächlich die Vermeidung der bereits in Gang gesetzten Klima-Dynamik Einhalt bieten würde. Dennoch muss man nicht dem Fatalismus anheimfallen, denn bereits eine Verlangsamung dieser Dynamik bietet eine nicht zu unterschätzende Chance, dass sich einerseits einzelne Biotope an die neuen klimatischen Bedingungen anpassen können, und anderseits, dass alternative Energiequellen technisch und auch wirtschaftlich tauglich erschlossen werden können.



Kognitive Dissonanz: „An inconvenient truth“


Weg vom Erlebniskonsum: ein Plädoyer für die Einfachheit
In einer Ära, wo der Mensch und die Gesellschaft immer mehr einer kommerziellen „Verbrauchs-Logik“ unterliegt, stellt sich die bisweilen schwierig zu beantwortende Frage, ab wann eine Erfahrung als Konsum zu gelten hat, daher als etwas das rein der Befriedigung des eigenen unmittelbaren Verlangens dient, und wo sie eine erweiterte Sinnkomponente inne hat. Inwiefern sind Reisen in ferne Länder, aber z.B. auch kulturelle Veranstaltungen, abenteuerliche Naturerfahrungen oder sexuelle Erlebnisse, blosse Verbrauchsgüter, und in wie weit transzendieren sie die ephemere Selbstbefriedigung, um uns als Mensch und Gesellschaft wirklich weiterzubringen, um uns für das gemeinsame Wohl aller Stakeholder zu engagieren?

Natürlich müssen - und können - nicht alle unsere Tätigkeiten immer einen transzendierenden Sinn beinhalten das alle Stakeholder gleichberechtigt einbezieht. Dennoch können wir uns das nächste Mal wenn uns die Überseereiselust - oder andere Verlangen – packen, einen Moment innehalten und uns fragen, ob es nicht eine sanftere Alternative gibt, die Ferien zu verbringen. Bewusster (wie bisweilen auch vom Leben erzwungener) Verzicht, so habe ich es öfters bei mir erlebt, löst ungeahnte, kreative Kräfte aus und befreit vom Joch des „nicht ohne glücklich sein können.“
Hilfreich in diesem Kontext ist möglicherweise die Einsicht, dass in Zeiten und Weltgegenden wo es keine Möglichkeit gab oder gibt je nach Wunsch und Laune physisch in die Ferne zu Reisen um somit den Erlebnisdurst oder die Neugier zu stillen, die Menschen seit jeher andere Wege gefunden haben, um auf Entdeckungsreise zu gehen und Erfüllung zu erfahren. Zum einen liess man sich vermutlich vollumfänglicher auf die unzähligen kleinen Details die das tägliche, gemeinsame Leben und die Natur uns schenken, ein. Zum anderen suchte man in der psychischen Innenwelt Spannung, Sinn, Heilwerdung und bisweilen Entzücken.
 

Das Moos-Beet als Sinnquelle
Tropische Korallenriffe sind  visuell sicherlich spektakulärer als ein Moosübersäter Baum. Dennoch ist letzterer eine ganze Welt für sich, woran man die ganze Fülle des Lebens wortwörtlich hautnah erleben kann. Das intensive Leuchten, die zierliche, samtige Weichheit, ein kleiner Käfer der seinen Weg darin sucht: das Wunder, die Entspannung, der Sinn, so realisiere ich dann, liegt vor meinen Füssen – anmutig, still, erwartungslos.

Und ich bin zutiefst erfüllt und glücklich.


  
Manuel Dawson
 

Fragen aus der Stakeholder Perspektive:

·         Ist der Stakeholder-Ansatz auf die Klimafrage anwendbar? Wenn ja, welche Stakeholder sollten einbezogen werden? Sind zukünftige Generationen auch zu berücksichtigen? Und was ist mit unserem ganzen Erd-Biotop, inkl. alle Tiere und Pflanzen?

 
·         Wie sind die Stakeholder von morgen mit denen von heute zu gewichten, wenn sich die Konsequenzen der Klimaveränderung nur durch Wahrscheinlichkeiten erörtern und prognostizieren lassen?

 
·         Wie nehme ich mich selbst in diesem Kontext als mit allen Lebewesen – räumlich wie auch zeitlich - vernetzter Stakeholder wahr, und was könnte ich tun, um meine Selbstwahrnehmung mit meinem Handeln in Einklang zu bringen?






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