Mittwoch, 15. April 2015

Wieviel Platz braucht der Mensch?

In den letzten Tagen hatte ich zwei Mittelstreckenflüge in der Economy-Class zu überstehen: einen in einem Airbus A380, einen in einer Boeing 777. Beide Flüge waren unangenehm, ja geradezu eine Tortur wegen der engen Platzverhältnisse.


Von solchen Unannehmlichkeiten befreit, lese ich nun in den Medien, dass die grossen Flugzeugbauer beabsichtigen, die Sitzzahl in ihren Flugzeugen nochmals zu erhöhen. Im Airbus A380 soll sie etwa von bisher 525 auf 544, im Airbus 320neo von 180 auf 195 erhöht werden. Boeing, dadurch unter Wettbewerbsdruck geraten, wird die neue Boeing 737 MAX neben der Standardvariante mit 189 Sitzen auch in einer Ausgabe mit 200 Sitzen verkaufen.

Gemäss einer Aussage des Marketing-Leiters der Airbus soll das der Wunsch der Kunden sein. Gemeint sind die Airlines als Kunden der Flugzeughersteller, die sich pro Jahr und Flugzeug eine jährliche Gewinnsteigerung von 1 Mio. Franken versprechen. Allerdings sind letztendlich nicht primär die Airlines sondern die Flugpassagiere die Kunden. Sie sollten eigentlich den Segen dieser räumlichen "Rationalisierung" geniessen können. Die Airlines glauben offenbar, dass ihre Kunden weitere Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen, wenn dadurch die Preise reduziert werden. Insbesondere asiatische Passagiere sollen sehr preisbewusst sein. Das scheint mir aber eine sehr einseitige Sicht zu sein.

Ich kann mir vorstellen, dass es sehr viele Economy-Passagiere gibt, die schon heute mit den Unannehmlichkeiten enger Sitzplätze und fehlender Beinfreiheit kämpfen. Dazu kommen die immer engeren Gänge zwischen den Sitzreihen, durch welche sich Eltern mit Kindern und Gepäck zwängen müssen. Immer knapper bemessenen sind auch die Toiletten, in welchen man sich kaum mehr drehen und wenden kann. Alle diese Begrenzungen der Bewegungsfreiheit schaden nicht nur dem allgemeinen Wohlbefinden des wirklichen Kunden, des Passagiers, sondern sie schaden der Blutzirkulation und können auch die Thrombosegefahr bei den Fluggästen erhöhen. Ob das der Wunsch der wirklichen Kunden ist, muss sehr bezweifelt werden. Die weiteren räumlichen Einengungen sind wohl eher Wunschvorstellungen der Airlines, die ihre Einnahmen steigern wollen.

Betroffen von solch extremen Raumverhältnissen sind aber nicht nur die Passagiere. Immer unattraktiver werden die Arbeitsplatzverhältnisse auch für das Kabinenpersonal. Sie zwängen sich mühsam mit ihren Servierwagen durch die engen Gänge zwischen den Sitzreihen und sind für die Passagiere ein stetiges Hindernis der freien Bewegung. Ein Blick in die Küche der Boeing 777 hat mir gezeigt, auf welch engem Raum das Kabinenpersonal - es waren 7 Personen - die Mahlzeiten vorbereiten muss. Es braucht wenig Vorstellungsvermögen, um zu sehen, dass das wenig attraktive Arbeitsbedingungen sind, die sich nicht nur auf die Arbeitszufriedenheit und Leistung des Personals negativ auswirken, sondern auch auf die Attraktivität dieses Berufes. Je schlechter die Arbeitsbedingungen durch weitere Raumeinengungen werden, umso geringer wird die Motivation und Dienstleistungsbereitschaft jener Mitarbeitenden der Airlines, die am nächsten bei dem Kunden sind.

Negativ wirken sich die immer engeren Raumverhältnisse auch auf das Reinigungspersonal aus. Wenn man nach einem Langstreckenflug in die  Sitzreihen schaut und die Mengen an Decken, Zeitschriften und sonstigen Abfällen aller Art sieht, so kann man sich vorstellen, wie mühsam sich das Reinigungspersonal durch die Sitzplätze zwängen muss. Auch für sie wird der Arbeitsplatz immer unattraktiver. Man fragt sich, wie diese Form des Wettbewerbes den Nutzen für die erwähnten Stakeholder steigern soll.
 
Aus der Perspektive der Stakeholder View ergeben sich folgende Überlegungen: 
  • Kunden und Mitarbeitende sind Kern-Stakeholder. Ihre Motivation ist strategisch erfolgsentscheidend. Dies gilt in besonderem Masse für den Luftverkehr. Ein reiner Preiswettbewerb, der zu immer engeren Platzverhältnissen führt, wird dem nicht gerecht. Die negative Nutzenwirkung bei den Kern-Stakeholdern wird  bei diesem Wettbewerb nicht genügend beachtet. 
  • Für eine nachhaltige Verbesserung des Erfolges sollte das kreative Potenzial vor allem der Kern-Stakeholder genutzt werden. Multi-Stakeholder-Dialoge können in solchen Situationen zu neuen, kreativen Lösungen führen.

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