Mittwoch, 22. Oktober 2014

Gastblog: Gipfelikonferenz Gesundheit

Die Gipfeli-Konferenz ging am 11. September mit dem Thema „Gesundheitswesen“ in eine zweite Runde. Das Spannungsfeld „zunehmender Kostendruck“ versus „fehlender Wille in der Bevölkerung zum Leistungsabbau“ stellt die Fachkräfte im Gesundheitswesen vor grosse Herausforderungen.

Mitdiskutiert haben unter der Leitung von Prof. Sybille Sachs und Matthias Mölleney folgende Personen: Dr. Leo Boos, Partner bei H Focus AG, Jeanette Bürki, ehemalige Leiterin verschiedener Spitäler, Andrea Dörig, Leitung des Departement Pflege der Spitäler Schaffhausen, Monika Eichelberger, Direktion Langzeitpflege des Schlössli Biel, Hans Groth, Präsident WDA Forum St. Gallen, Franz Schneller, Berater bei Gesundheitsprojekten, Markus Stauffer, Co-Leitung des Center for Health Care Management an der HWZ und Geschäftsführer der Wittlin Stauffer AG, Beat Stierlin, CEO der Klinik Barmelweid AG, Dr. Tania Weng, Leitung des Projekt „QualiCCare“, Dr. Peter Wittlin, Co-Leitung des Center for Health Care Management der HWZ und Geschäftsführer der Wittlin Stauffer AG.



Was sind die neuen strategischen Herausforderungen im Gesundheitswesen?  

Die Ökonomisierung ist eine neue Dimension im Gesundheitswesen. Früher wurde nicht gefragt, welchen Effekt eine Leistung hat. Man hat dem Arzt geglaubt, dass die Leistung, die er erbracht hat, richtig und wichtig war. Heute werden Leistungen sowohl von den Pflegepersonen, wie auch von den Ärzten gemessen. Ihre Handlungen werden transparent gemacht und sie müssen Verantwortung übernehmen für die Kosten, die sie verursachen. Dies bedeutet zwar einerseits, dass das Gesundheitswesen von der Öffentlichkeit mehr beachtet wird und dadurch die Behörden und die Politik mehr in die Verantwortung genommen werden, z.B. wenn sie Führungspersonen von öffentlichen Spitälern anstellen. Es bedeutet aber andererseits für die Leistungserbringer auch einen grossen administrativen Aufwand. 20-30% der Arbeitszeit wird für das Ausfüllen von Fragebögen, für die Dokumentation der einzelnen Arbeiten verwendet. Es ist dabei nicht klar, ob damit eine Verbesserung der Leistungen oder eine Reduktion der Kosten erreicht wurde. Gemessen wird in Taxpunkten oder Franken. Damit haben die Finanzen heute im Gesundheitswesen eine immer dominantere Rolle übernommen. Sie werden je länger je mehr neben der Ärzteschaft und der Pflege zur 3. Säule in den Spitälern. Dadurch nimmt für die Spitäler der Druck auf Effizienzsteigerung zu. Die Folgen davon sind neben der technischen Effizienzsteigerung eine kontinuierliche Professionalisierung und Spezialisierung der einzelnen Arbeitsbereiche - eine Diskrepanz zu den alten, z.T. noch bestehenden Rollenbildern „Beruf durch Berufung“.
Ein zweites Thema ist natürlich die demografische Entwicklung der Gesellschaft. Die Menschen werden immer älter. Bei der inneren Medizin sind die Mehrheit der Patienten bereits über 70 Jahre alt. Chronisch kranke Menschen sind dabei für das Gesundheitswesen zunehmend eine Herausforderung. Rationalisierungen und Beschränkungen von Leistungen werden ein gesellschaftliches Thema. Das führt zur Frage, wer über die Leistungen entscheidet oder welchen Wert die Gesellschaft bereit ist, der Gesundheit zu geben. Die Schweizer Bürger haben bis heute sämtliche Einschränkungen im Krankenbereich abgelehnt, sie sind bereit, für ein spezialisiertes Gesundheitswesen auch einen teuren Preis zu bezahlen. Patienten können eine Leistung nicht im Detail beurteilen. Umfragen sagen, dass 75% der Befragten möchten, dass Spezialisten entscheiden sollen, welche Leistung durchgeführt wird.

Was heisst das für Leadership?

Durch die zunehmende Spezialisierung entstehen Schnittstellen. Die Kontinuität der 24h-Schichten, die in der Pflege bereits gelebt wird, wird zunehmend auch  im ärztlichen Bereich vollzogen. Führungsfragen spielen dabei immer grössere Rollen. Die einzelnen und z.T. neuen Schnittstellen müssen gemanagt werden. Die einzelnen Akteure in diesem multiprofessionellen Umfeld müssen miteinander zusammenarbeiten, müssen entsprechend geführt werden. Das verlangt hohe soziale Kompetenzen. Werte und auch „Unwerte“ müssen definiert werden. Führungskräfte müssen sich positionieren und auch Grenzen setzen. Wertschätzung und Achtsamkeit sind wichtige Kompetenzen. Das Gesundheitswesen hat einen jährlichen  Personal Turnover von 20% und mehr. Besonders problematisch ist die Fluktuationsrate im Führungsbereich. Verbindlichkeit kann nur durch Kontinuität gelebt werden und Verbindlichkeit ist wichtig für das Vertrauen und die Beziehungspflege. Führungskräfte führen durch ihre Persönlichkeit und ihre Verlässlichkeit. Sie müssen ihren Leuten einen Rahmen geben, wohin die Reise geht. Es soll schliesslich eine lernende Organisation entstehen.

Daher ist es wichtig, dass mehr Energie in die Frage investiert werden soll, wie gutes Personal gehalten werden kann, als wie man gutes Personal neu akquiriert.
Die Mitarbeitenden sollen sich mit der Institution identifizieren. Beziehungsarbeit muss im Mittelpunkt stehen. Den Mitarbeitenden soll die Möglichkeit der Mitgestaltung gegeben werden. Nicht alle müssen das gleiche machen, man kann neue Modelle kreieren.  Gerade im Gesundheitswesen mit einem sehr hohen Frauenanteil ist es wichtig, dass talentierte Führungsfrauen die Organisation nicht verlassen müssen, wenn sie Kinder bekommen und Teilzeit arbeiten möchten. Job-Sharing-Modelle wären eine Lösung.

Was sollen wir für unser Leadership Projekt mitnehmen?

Die Führungskräfte von morgen müssen lernen, das Ziel im Auge zu behalten und flexibel reagieren zu können. Sie sollen durch ihre Persönlichkeit führen und Rahmenbedingungen für Lernprozesse schaffen. Komplexitäten sollen reduziert werden, der Mensch in den Mittelpunkt gestellt und wertgeschätzt werden. Die Beziehungspflege unter den einzelnen spezialisierten Akteuren ist enorm wichtig. Ziel soll es sein, mit den verschiedenen Interessensgruppen gemeinsam etwas noch besseres zu erreichen.

Alle sind sich einig: Beziehungspflege kann man lernen, aber der erste Schritt ist: Man muss es wollen!

Gabriella Signer

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