Mittwoch, 16. September 2015

Unangenehme Leader und Innovation


Eine implizite Annahme des Leadership-Ansatzes der Stakeholder View ist, dass Führungspersonen möglichst empathisch, freundlich und „nett“ zu sein haben. Man lässt sich auf die Mitarbeiter als Individuen ein, berücksichtigt fortwährend ihre Bedürfnisse und Gefühle und arbeitet gezielt auf ein harmonisches Arbeitsklima zu. Eine Legitimation erhält dieser Leadership-Ansatz in der Geschichte unserer Spezies: Der Triumphzug des Homo sapiens auf der Erde beruht nicht zu Letzt darin, dass Menschen eine überaus hochentwickelte Fähigkeit zur integrativen Kooperation besitzen, wobei Empathie, Rücksichtnahme und eine Bändigung von übermässigen Dominanzgebaren ein unabdingbarer Teil davon sind. Dennoch stellt sich die Frage ob ein angenehmer, integrativer Führungsstil der Innovationfähigkeit einer Organisation optimal dient. Denn höchst erfolgreiche Führungspersönlichkeiten wie Steve Jobs (Apple), Andy Groves (Intel), Jeff Bezos (Amazon) und auch Bill Gates (Microsoft) waren bekanntermassen alles andere als angenehm zum Zusammenarbeiten.

Inkrementelle vs. bahnbrechende Innovation
Bahnbrechende Innovation bedarf z.T. radikal anderer Ingredienzen als inkrementelle Innovation. Meine eigene durchaus „unangenehme“, obgleich äusserst anregende Zeit in einer ausserordentlich erfolgreichen israelischen Hi-Tech Firma wird mir in diesem Zusammenhang vergegenwärtigt. Die geradezu tragikomische Art wie die drängende, direkte, oftmals regel-umgehende israelische Verhaltensweise auf die fortwährend bedächtige, höfliche, normhuldigende Arbeitskultur unserer japanischen Vertreter prallte, verdeutlicht auf eindrucksvolle Weise diese unterschiedlichen Innovationskulturen. Während die Japaner uns brav fast wöchentlich einen kleinen, aber detaillierten Verbesserungsvorschlag für unsere Produkte unterbreiteten, so lancierten die Israeli am Laufmeter vollkommen neue Produkte, wobei locker in Kauf genommen wurde, dass ein erheblicher Teil davon ein absoluter Flop sein würden – nicht nur im Markt, aber auch rein technisch. Meinungen wurden oft mit beachtlichen, für die noch nicht darin Eingeweihten zuweilen beängstigenden emotionalem Nachdruck klipp und klar geäussert und energisch debattiert. Jeder Tag war eine neue emotionale Achterbahn, wobei das eigene Ego entweder unzimperlich überrollt wurde, oder sonst bereits mit so viel Hornhaut überzogen war, dass man begann, die tagtägliche Konfrontation sportlich zu geniessen.

Destruktive vs. Konstruktive Konfrontation
Der Clou an dieser sprudelnden Kreativität war aber, dass es bei diesen freimütigen Konfrontationen (Andy Grove nannte dies „constructive confrontation“) um Meinungen und Ideen ging, nicht aber um die Personen an sich und dass jeglicher „Gewinn“ (wie auch Verlust) immer mit den direkt involvierten Stakeholdern geteilt wurde – also ganz im Sinne der Stakeholder View. Sobald die Konfrontationen auf die Personen gerichtet und Gewinne egoistisch gehortet wurden, degenerierte dieser Modus Operandi aber und schlug schnell ins rein Destruktive um. Auch dies durfte ich miterleben, denn die Firma wurde bedauerlicherweise schliesslich durch aggressive, kurzfristig handelnde und unersättliche Investoren auseinandergerissen.

Friedlich-harmonisch vs. spanungsgeladen-kreativ?
Kreativität nährt sich oft von Spannung und bedarf die Kapazität, auch unangenehme Situationen aushalten zu können. Man kann sie sogar mit einer „empathischen Provokation“ gezielt fördern. Welcher Modus Operandi für eine Person, Organisation oder sogar Volkswirtschaft am geeignetsten ist, hängt vom Charakter der involvierten Stakeholder, der Marktnische einer Firma, der Leitkultur eines Landes und dem spezifischen Timing ab. Es gibt also kein einfaches Patentrezept für Führungspersonen, die eine Stakeholder-Strategie umsetzen und zu leben trachten. Letztendlich gilt es abzuwägen, welche Werte und Ziele Vorrang haben: ein harmonisches, friedliches Umfeld, oder ein zwar spannungsgeladenes, aber sprudelnd kreatives. De Füfer und s’Weggli kann man bekannter Weise nicht haben.

Konklusion aus der Stakeholder-Perspektive:

·         Gelungenes Leadership bedarf immer eine Antwort auf die Frage, „Führung mit welchem Ziel?“. Solange Führungskräfte die involvierten Stakeholder bei Erfolgen und Misserfolgen einbeziehen und nicht nur ihr eigenes Ego oder Geldbeutel füttern, kann gute Führung mitunter für die involvierten Stakeholder auch unangenehm sein.

 
·         Gelungene Führung im Dienst einer Organisation, wie auch der Gesellschaft als Ganzes, bedarf ein Balanceakt zwischen grundlegender Erneuerung und inkrementeller Weiterentwicklung, welche z.T. unterschiedliche Vorgehensweise und Kompetenzen voraussetzen.

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