Donnerstag, 6. August 2015

Asyldebatte: Dank Stakeholderanalyse systematisch andere Perspektiven einnehmen

In den Schweizer Medien wird, getrieben durch das alt bekannte und wirkungsvolle Agenda-Setting der SVP, eine „Asyldebatte“ geführt. Während erneut ein Flüchtlingsboot im Mittelmeer untergeht und Dutzende von Menschen dabei sterben, wird hierzulande diskutiert, dass „die absoluten Gesuchszahlen stark ansteigen und für die kleine Schweiz viel zu hoch sind“ (siehe Tagesanzeiger vom 05.08.). Klar ist, es werden Emotionen in die politische Diskussion getragen, von rechts wird Angst geschürt und von links Empathie verlangt, ohne sich dabei die Komplexität der Situation vor Augen zu führen. Meiner Ansicht nach, sind Gefühle hier nicht falsch, aber eine Situationsanalyse könnte helfen, die Sache etwas differenzierter und aus verschiedenen Perspektiven anzuschauen.


Wer ist relevant?

Eine Stakeholderanalyse ist hier ein Tool, das man dazu nutzen kann, eine Situation in seiner Komplexität mindestens ansatzweise zu erfassen. Als Erstes gilt es alle relevanten Stakeholder zu identifizieren, das heisst, Personen oder Organisationen, die in einer direkten oder indirekten Weise von dieser Situation betroffen sind. Am besten wäre es, die Hauptakteure nach involvierten Stakeholdern zu fragen, um ein vollständiges Bild zu erhalten. Am Beispiel der Asyldiskussion in der Schweiz sind dies natürlich die Asylsuchenden selber, ihre hinterbliebenen Verwandten und Freunde und auch die Hinterbliebenen, die bleiben und für oder gegen eine Regierung/Gruppierung kämpfen wollen. Weiter sind es die Regierung/Politiker im Land selber, supranationale Organisationen wie die UNO, (umliegende) EU-Länder, die Schweizer Bevölkerung (wohlhabende, arme, links, rechts, interessierte, uninteressierte...), ihre Politiker und Organisationen so wie auch die nationalen und internationalen Medien. Dann kommen aber auch weniger offensichtliche Stakeholder dazu, wie die Schlepperbanden.

Welche emotionalen und materiellen Bedürfnisse bestehen und wie legitim und mächtig sind die Akteure?

In einem nächsten Schritt werden die emotionalen und materiellen Bedürfnisse der verschiedenen Stakeholder erörtert. Zeichnet man die verschiedenen Stakeholder mit ihren gegenseiteigen Abhängigkeiten und Gegensätzlichkeiten in einem Netzwerk auf, können mögliche Dominoeffekte einerseits und die Kontroversen andererseits sichtbar gemacht werden. So können Fragen gestellt werden, wie: Was unterscheidet die Flüchtlinge von den Hinterbliebenen? Wieso nehmen gewisse EU-Staaten mehr Flüchtlinge auf als andere? Wieso verfolgen Schlepperbanden nur ihr eigenes Wohl resp. ihre eigenen Bedürfnisse?
Weiter hilft es auch, jeden Stakeholder bezüglich seiner Legitimität, Macht und Dringlichkeit einzustufen. Gefährliche Stakeholder sind dann z.B. solche, die zwar (aufgrund ihres kriminellen Verhaltens) illegitim, jedoch sehr mächtig sind. Dies wären hier z.B. die genannten Schlepperbanden, welche eine Flucht zwar ermöglichen, aber an ihr eigenes Wohl und nicht an das der Flüchtlinge denken.

Was ist mir wichtig?

Die Gewichtung der Relevanz der Bedürfnisse der verschiedenen Stakeholder ist der letzte Schritt bei dieser Analyse. Diese ist schwierig nach „objektiven“ Fakten zu beurteilen, hier kommen unweigerlich und richtigerweise die eigenen Werte und damit auch Gefühle wieder ins Spiel. Leitend sind die Fragen: Was ist mir wichtig? Die eigene (finanzielle) Sicherheit oder (uneingeschränkte) Solidarität? Zusammenarbeit oder Abschottung? Welche Konsequenzen bin ich bereit in Kauf zu nehmen?
Eine solche Analyse erlaubt eine differenziertere Auseinandersetzung mit der Thematik und ermöglicht es, den Blickwinkel anderer Beteiligter einzunehmen, deren Bedürfnisse zu verstehen und es fördert die Salienz der eigenen Werte. Es erlaubt damit hoffentlich auch auf systematische Weise, die Menschen hinter den abstrakten Begriffen zu sehen.

Vanessa McSorley


Konklusionen aus der Stakeholder-Perspektive:


  • Bei einem komplexen Issue sollten alle relevanten Stakeholder in die Überlegungen miteinbezogen werden, insbesondere auch Stakeholder die legitime Ansprüche haben, jedoch wenig Macht besitzen. 
  • Zur Analyse gehört auch eine Auseinandersetzung mit den eigenen Werten, sei es die einer Unternehmung oder die ganz persönlichen. 


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