Donnerstag, 10. Juli 2014

E pluribus unum

Das Verhalten von öffentlichen, privaten und Non-Profit-Organisationen betrifft in einer zunehmend vernetzten Gesellschaft eine immer grösser werdende Anzahl von Akteuren. Gerade hinsichtlich komplexer sozio-ökonomischer Themen sehen sich organisationale Entscheidungsträger einer grossen Anzahl von Stakeholdern mit unterschiedlichen Wertvorstellungen und Interessen gegenüber. Die Bemühungen von Organisationen, diese Stakeholderinteressen miteinander zu vereinbaren, zeigt sich beispielsweise in der Vision des Konsumgüterherstellers Unilever „[...] to double the size of the business while reducing our environmental footprint and increasing our positive social impact“ (Unilever, Annual Report 2013), welche die Auswirkungen der Geschäftstätigkeit auf verschiedene Akteure berücksichtigt.


Seit einigen Jahren versuchen Organisationen durch themenspezifische Dialoge die Perspektiven ihrer Stakeholder in einem kollaborativen Verfahren zu berücksichtigen. Dabei steht ein sozio-ökonomisches Thema im Zentrum des Dialogs und nicht die initiierende Unternehmung. Nestlé organisiert beispielsweise Dialoge zur Nahrungsmittel- und Wasserversorgungssicherheit oder nimmt als Mitglied der 4C Association an Gesprächen zur Nachhaltigkeit im internationalen Kaffeeanbau teil. Durch die Teilnahme und Initiierung von Stakeholderdialogen möchten Organisationen einerseits das gesellschaftliche Vertrauen gewinnen, indem sie sich proaktiv für ihr Handeln im Kontext von sozio-ökonomischen Themen verantwortlich zeigen. Andererseits dienen Stakeholderdialoge aber auch als Frühwarnsysteme zur Erkennung zukünftiger Stakeholderansprüchen, welche aus dem strategischen Verhalten von Organisationen entstehen können. Nicht zuletzt können Stakeholderdialoge Innovationen an der Schnittstelle zwischen den verschiedenen Stakeholderperspektiven fördern (vgl. von Kimakowitz, 2010).

In Forschung und Praxis hat sich aber gezeigt, dass Entscheidungsträger Stakeholderdialoge als äusserst ressourcenintensiv betrachten und die beteiligten Akteure von den erzielten Resultaten oftmals enttäuscht sind. Neben organisationalen, politischen und strategischen Gründen bietet auch die Sozialpsychologie eine Erklärung dieses Phänomens an, da Stakeholder während eines Dialogs von Personen repräsentiert werden, welche die Wertvorstellungen und Interessen ihres Kollektivs vertreten. Diese Gruppenzugehörigkeiten stehen zu Beginn eines Stakeholderdialogs im Vordergrund, was oftmals zu einer Positionierung und Abgrenzung der Teilnehmenden voneinander führt. Das Ziel der Moderation von Stakeholderdialogen wird deshalb darin gesehen, die Gemeinsamkeiten in den Wertvorstellungen und Interessen zwischen den Stakeholdervertretern herauszuarbeiten und zu betonen. Dieser Prozess kann sich als extrem anspruchsvoll erweisen und zum Stillstand oder Abbruch von Dialogen führen.

Neuere sozialpsychologische Forschung hat nun zu der paradox klingenden Erkenntnis geführt, dass die Unterschiede in den Wertvorstellungen und Interessen von Stakeholdern als Gemeinsamkeit begriffen werden können. Die Einigkeit über die Unterschiedlichkeit der an einem Dialog teilnehmenden Stakeholder dient somit als gemeinsame Basis, auf welcher ein fruchtbarer Interaktionsprozess beginnen kann. Nicht ein erzwungener Fokus auf Gemeinsamkeiten, sondern die gemeinsame Anerkennung von Unterschieden in den Wertvorstellungen und Interessen führt dazu, dass diese in einem Stakeholderdialog diskutiert und ausgelotet werden. Dadurch entstehen schlussendlich ein vertieftes Verständnis gegenüber anderen Stakeholderperspektiven sowie innovative Herangehensweisen an ein sozio-ökonomisches Problem.

Organisationen aus dem öffentlichen, privaten und Non-Profit-Sektor sollten deshalb während eines Stakeholderdialogs die Unterschiede in den verschiedenen vertretenen Perspektiven nicht als Risiko begreifen, sondern als Chance für eine gemeinsame und integrative Vorgehensweise. Diese Leitmotto steht übrigens auf jeder Ein-Dollar-Note: E pluribus unum.
 
Tom Schneider

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