Wow!
Dass der Verzicht auf Milchprodukte und Eier in unserer Gesellschaft so verbreitet, so vehemente Reaktionen hervorrufen kann, deutet wohl darauf hin, dass hier eine ganze Reihe von bewussten und unbewussten – verdrängten – Selbstauffassungen, Lebensgewohnheiten, gesellschaftlichen Tabus und wirtschaftlichen Interessen in Frage gestellt werden.
Solange der
Bevölkerungsanteil an Menschen, die aus ethischer Überzeugung oder
gesundheitlichen Überlegungen keine tierische Produkte konsumieren,
vernachlässigbar klein ist, bleiben Reaktionen, wie ich sie erlebt habe, auf
einer rein persönlichen Ebene und zeitlich begrenzt. Sollte aber dessen
Bevölkerungsanteil wachsen und dieser gar gesellschaftliche Forderungen geltend
machen (z.B. vegane Menu-Optionen in Mensen oder ein offener gesellschaftlicher
Diskurs über die bis ins letzte Detail ertragsoptimierte, industrielle Methodik
unserer Nahrungsmittelbeschaffung und dessen Konsequenzen für die Nutztiere,
die Umwelt und die Stakeholder ärmerer Weltregionen), werden die
wirtschaftlichen (und dadurch auch politischen) Interessen voll ins Spiel
gebracht. Denn: Abgesehen davon dass die Landwirte eine disproportionale,
stolze Anzahl an Parlamentariern in der Schweiz stellen, sind der Bauernverband
und die Nahrungsmittelindustrie finanziell bestens dotiert und mit den Hebeln
der Macht vernetzt– sei dies mit den Medien und den damit verbundenen
Werbebranche, dem Politikbetrieb oder der staatlichen Verwaltung, z.B. dem BAG
(Bundesamt für Gesundheit) oder dem BAFU (Bundesamt für Umwelt). Eine massive
Kampagne auf wirtschaftlicher und politischer Ebene, inklusive der gezielten
öffentlichen Meinungsgestaltung, ist somit vorprogrammiert, wobei ein
wachsender und seit ein paar Jahren nun erstmals auch organisierter Bevölkerungsanteil
(siehe http://www.vegan.ch/), der sich bewusst von unseren heutigen
Nahrungsmittelbeschaffungsmethoden distanziert, kaum mithalten können werden.
Dennoch wird dieser
gesellschaftliche Diskurs unabdingbar, nicht so sehr wegen der triftigen
empathischen oder gesundheitlichen Argumente, aber weil unser heutiges
Nahrungsmittelkonsumverhalten schlicht und einfach auf die Dauer unhaltbar ist.
In diesem Zusammenhang muss man sich auch fragen, inwiefern wir „nicht mündige“
Stakeholder – also Menschen in armen Gegenden der Welt, die noch nicht
geborenen Generationen an Menschen und eben auch die Tiere, die die
Konsequenzen von unserem Konsumverhalten auch zu tragen haben, berücksichtigen
wollen.
Wichtig in diesem
Zusammenhang ist aber, dass dieser Diskurs möglichst ohne Schuldzuweisungen und
Verurteilungen vonstatten geht. Es geht hier nicht z.B. um die Milch- und
Eierbauern, die sogar in der Schweiz mit ihren Milliarden an Direktzahlungen
vermehrt auch unter der ultimativen Ratio eines Marktes zu operieren haben wo -
allem Bio zum Trotz - nur noch der Preis pro Menge zählt, zu verurteilen oder
den traditionsbewussten Fonduegeniesser als Unmensch darzustellen. Gleichwohl
gilt es aber auch, auf „Veganer“ Rücksicht zu nehmen und sie nicht a priori als radikale Gutmenschen
abzuservieren. Jeder Mensch ist letztendlich in seiner sozialen und kulturellen
Einbettung schlicht unfähig, immer alles in Betracht zu ziehen und seine
Gewohnheiten – mit denen er/sie oft sentimental verbunden ist – grundsätzlich
in Frage zu stellen und zu ändern. So sind wir alle täglich mit all unseren
kleinen und grossen Problemen beschäftigt oder anderseits durch das Leben
abgelenkt, dass wir uns für alle unangenehmen „Wahrheiten“ und dessen
abgeleiteten Verhaltensänderungskonsequenzen öffnen könnten.
Ein gutes Beispiel
hier bin ich ja selbst: Obwohl ich auf einer Ranch mit Rindern in den USA
aufgewachsen bin und ein Sommer mehrere Wochen auf einem Milchbauernhof in der
Schweiz gearbeitet habe, brauchte ich Zeit, bis ich so weit war, mich
vertiefter mit der Materie auseinanderzusetzen und dann auch die Energie
aufzubringen, um mein Verhalten mit dem Verstandenen, mit meinen Werten und
meinem Empathieempfinden in Einklang zu bringen. Trotzdem aber ist eine Zivilisation
auf die Dauer nur entwicklungsfähig und dadurch überlebenstauglich, wenn sie
sich periodisch selbstkritisch hinterfragt – auch wenn man dabei an
wirtschaftlichen Interessen, gesellschaftlichen Tabus und historisch tief
verankerten Traditionen rüttelt. Amos Oz, ein Israelischer Schriftsteller,
schrieb einst, dass die Neugier und die Bereitschaft, auch das Unangenehme zu
erkunden, als Teil der menschlichen Ethik verstanden werden sollte.
Übrigens: In diesem
Zusammenhang war es für mich spannend zu entdecken, wie einfach und schnell man
seine Essgewohnheiten ändern kann, so dass man dies gar nicht mehr als Verzicht
wahrnimmt. Es lohnt sich durchaus als persönliches Experiment, einfach mal
einen Monat lang auf tierische Produkte zu verzichten, auch wenn dies ausser
Haus vielleicht nicht immer gelingt. Das Erlebnis, seine fest eingefahrenen
Gewohnheiten so rasch verändern zu können, um Neues zu entdecken und zu
kreieren, bemächtigt, befreit und belebt nämlich auch auf wunderbarer Art und
Weise!Manuel Dawson
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