Der VW-Skandal zeigt auf eindrückliche Art und Weise, dass
moralischer Verfall oft ansteckend ist. Es wird nun geschätzt, dass ein paar Dutzend
Mitarbeiter über Jahre direkt in den Manipulationen involviert waren, ohne dass
auch nur eine einzige Person als „Whistleblower“ hervorgetreten sei. Wie es
dazu genau kommen konnte, wird heute noch untersucht und darüber spekuliert.
Was auch immer bei diesen Untersuchungen herauskommen wird, für mich ist dieser
Fall symptomatisch für eine Wirtschaftsordnung, die die Menschen nahezu systematisch
zwingt, ihre gelebten und kultivierten Werte zwischen ihrer professionellen
Tätigkeit und ihrem privaten Umfeld zu trennen. Am Wochenende kümmert man sich
führsorglich um die Familie oder man engagiert sich brüderlich, bzw.
schwesterlich in der Kirche. Am Montag verhandelt man dann aber wieder
knallhart, um den besten Preis, das höchste Salär oder den grössten Profit zu
ergattern, allzu oft achtlos, ohne die weiteren menschlichen, sozialen und
ökologischen Konsequenzen zu bedenken.
Natürlich sind kontextabhängige, divergierende Normen unvermeidbar, da wir je nach Situation verschiedene Rollen innehaben – sei es als Vater, Ehefrau, Tochter, Mitarbeiter oder Chefin.
Dennoch leidet eine solche Gesellschaft unter einer auf die
Dauer nicht aufrecht zu haltenden
Schizophrenie, wobei die Menschen gezwungen werden zwei oft diametral entgegengesetzte
Glaubenssätze zu verkörpern. So regiert in der Wirtschaft oft das Primat der
Konkurrenz, gleichzeitig aber auch die soziale Anpassung (Anzug und Krawatte
sind dafür ein eindrückliches visuelles Symbol). Im privaten Umfeld wiederum werden
aber vor allem das Mitgefühl und die Grosszügigkeit, oftmals sogar der
Altruismus, kultiviert. Verdeutlicht wird dies durch das Vokabular, das wir mit
diesen beiden Lebensbereichen in Verbindung bringen:
Wirtschaft - Professionell
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Familie - Privat
|
Erfolg
|
Mitgefühl
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Gewinn(en)
|
Gemeinsinn
|
Vermarkten
|
Treue
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Selbstdarstellung
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Demut
|
Ehr(geiz)
|
Liebe
|
Hab(gier)
|
Teilen
|
Taktik
|
Gerechtigkeit
|
Konkurrenzfähigkeit
|
Kooperation
|
Zielstrebigkeit
|
Geduld
|
Erstens, die Integration auf der Makro-Ebene, wodurch die ‚Wirtschaft‘
nicht mehr als getrennte Entität fungiert, die zwar Berührungsflächen zu den
anderen Teilsystemen ‚Gesellschaft‘ und ‚Umwelt‘ hat, aber trotzdem
alleinstehend ist. Sondern das Ziel muss sein, die Wirtschaft als Teil der
Gesellschaft zu denken, die sich wiederum in die Umwelt einfügt.
Unternehmung im
Zentrum:
Letztens, bedarf es auf der Mikro-Ebene einer
Integration, die bezweckt, dass Menschen befähigt werden, ihre Werte zum
Ausdruck zu bringen und ihre Integrität wortwörtlich zu kultivieren. Das
bedeutet, dass ein Mensch in allen Lebensbereichen das, was er als stimmig und
für richtig hält, so auch auszusprechen und in einem Stakeholder-Kontext zu
leben wagt. An was man glaubt, bzw. welche Überzeugungen man pflegt, sollte
sich möglichst mit dem decken, was man sagt und wie man schlussendlich handelt.
Die grundsätzliche These ist somit: Je mehr die diversen Entitäten
unserer Zivilisation und die verschiedenen individuellen Stakeholder einer
Gesellschaft sich als integraler Teil des Ganzen wahrnehmen und dementsprechend
auch befähigt sind, so zu handeln, desto mehr löst sich die schädliche
„Gesellschafts-Schizophrenie“, inkl. deren unheilsamen Begleiterscheinung der
individuellen „kognitiven Dissonanz“, auf. Dies wiederum führt zu mehr
Verständnis und Mitgefühl für das „andere“, zu mehr „wir“ anstatt des heute
dominierenden kurzfristigen „ich“-Denkens und -Handelns. Ein „wir“-Selbstverständnis,
das auf unserem dicht besiedelten, kleinen Planeten vor allem heutzutage so
unabdingbar für das weitere florieren aller Menschen und Lebewesen ist.
Letztlich ist es auch just dieses „wir“-Selbstverständnis, das auch ganz
konkret solch kurzfristigem Konkurrenzdenken, wie es bei Volkswagen zum
Vorschein gekommen ist, entgegenwirkt.
Manuel Dawson
Konklusion aus der Stakeholder-Perspektive:
·
Das
Selbstverständnis eines jeden Stakeholders, inklusive einer Firma wie VW,
sollte sich nicht mehr nur darum drehen, ein „zentraler“ Knoten in einem
Stakeholder-Netzwerk sein, um den sich alle anderen Stakeholder in
konzentrischen Kreisen herum kreisen, sondern es muss darum gehen, ein
gleichwertiger Teil eines weitläufigen, gemeinsamen Stakeholder-Netzwerks zu
werden.
·
Je mehr Stakeholder
sich auf der Makro-, Meso- wie auch Mikro-Ebene als ein Integraler, gleichwertiger
Teil eines Ganzen wahrnehmen und dementsprechend auch befähigt werden zu
handeln, umso eher kann der „Gesellschafts-Schizophrenie“ vorgebeugt werden –
was wiederum der Entstehung von Skandalen wie bei VW entgegenwirkt.
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