Gerade rechtzeitig (oder eben nicht, je nachdem wie man‘s
nimmt) zur Fussball WM strahlte der deutsch-französische Fernsehkanal ARTE eine
Dokumentation mit dem Titel „Druck, Doping, Depressionen – Spitzensportler
packen aus“ über die Geschehnisse im professionellen Sport aus. Obwohl ich
dachte, dass ich bereits einiges gewusst habe, so hat mich das Geschilderte
dennoch schockiert. Sportler werden demnach bewusst und strategisch seit ihrer
Kindheit getrimmt und manipuliert, um die Gewinnmaximierung der Clubs,
Sponsoren und Multis voranzutreiben. Zum Beispiel werden Sportler mit dubiosen
Arbeitsverträgen ausgestattet; bei Verletzungen sagen Ärzte gezielt nur die
halbe Wahrheit und Rechtsanwälte unterdrücken klagen, sobald Sportler versuchen
sich zu wehren. Mit integrer Leistung und ehrenhaften ‘sportsmanship‘ wie man es im angelsächsischen Kulturraum kennt, hat
dies heute immer weniger zu tun. Man gewinnt – und verdient erst richtig – nur
wenn man die Nummer eins ist, und dies bedingt, dass man auch bereit sein muss zu
schummeln, sowie seinen Körper auf die Dauer zu ruinieren. Wenn, wie heute
üblich, z.B. eine Millisekunde zwischen dem ersten und dem zweiten Platz
entscheidet, und nur der erste Platz für die Sponsoren zählt, dann kann man es
gut nachvollziehen, dass die Sportler zu fast allen Mitteln greifen, um an die
Spitze zu gelangen und dann dort zu bleiben. Das tragische daran ist, dass die
Sportler selbst oft keine Wahl mehr haben, als diesem Gewinnstreben zu dienen –
es sei denn, sie steigen aus, was aus verschiedenen Gründen äusserst schwierig
ist.
Dieses erbarmungslose, hyperkommerzialisierte Konkurrenzethos
durchdringt nicht nur die allerletzten Ecken des Sports, sondern auch etliche
andere Bereiche unseres Lebens. Ob in der Wirtschaft, wo CEOs gezwungen sind,
fortlaufend auf den aktuellen Aktienkurs zu schielen anstatt sich voll auf die Schaffung
eines gesellschaftlichen Mehrwerts zu konzentrieren; ob in der Landwirtschaft,
wo die ganze Natur durchrationalisiert ausgebeutet wird, oder bei der
Partnersuche, wo Vermittlungsbörsen Menschen als gestylte Produkte anbieten:
Der Mensch und die Natur werden nur noch als Hochleistungsprodukte gehandelt.
Das kontinentale „alte Europa“ versucht noch (zwar sichtlich
verzweifelt) eine Alternative zu diesem Menschenbild, das den Mensch als
kommerzialisiertes Produkt auffasst, anzubieten. Die USA und weite Teile Asiens
haben lange schon kapituliert. Sie haben das Ethos so verinnerlicht, als ob es
normal und unvermeidbar, ja sogar das erstrebenswerte Nonplusultra wäre.
Ich habe nichts gegen Leistung und Exzellenz, vor allem wenn
sie tatsächlich kreativ ist. Aber wenn Menschen systematisch manipuliert werden
und bereits Kinder dieses Ethos direkt oder indirekt aufnehmen und
verinnerlichen, dann kommen bei mir Fragezeichen auf.
Soeben habe ich ein längeres Gespräch mit meiner 14-jährigen
Tochter gehabt, die in den USA lebt und sich bereits Gedanken macht, was sie
alles machen muss, um ein Stipendium an einer Top-Uni zu bekommen. Und dieses
„Machen“ bedeutet nicht nur Bestnoten in der Schule zu bekommen, sondern auch
das, was man in den USA „extracurricular activities“ nennt. So schilderte sie
mir, dass sie nicht nur sportlich aktiv sein möchte, aber auch im Drama Club
und in Musicals auftreten wird, journalistisch die Schülerzeitung bereichern
will, im Student Council Führungserfahrungen sammeln und im UNICEF Club dem
Gemeinwohl dienen möchte, sowie, ja, unternehmerisch einen neuen Club mit ein
paar Kolleginnen gründen möchte. Das alles im ersten Jahr an der High School. Lean in, wie Sheryl Sandberg in ihrem
Buch „Lean In: Women, Work, and the
Will to Lead“ die erfolgreichen weiblichen Führungskräfte von morgen
auffordert.
Dies löste bei mir ambivalente Gefühle aus. Da ist einerseits
die Freude an ihrem durchaus aufgeweckten Engagement und ihren hehren Zielen
(sie passioniert sich für ethische, gesellschaftliche und rechtliche Fragen und
träumt davon, Verfassungsrichterin am Obersten Gerichtshof der USA zu werden).
Anderseits aber auch die Sorge, dass ihr durch ein solches Streben der kreative
Kern abhandenkommen könnte, und sie genau – mit jugendlicher Ahnungslosigkeit –
in die oben erläuterten Leistungsmühlen hineinrutscht, um sich irgendwann als Höchstleistungsprodukt‘
im Dienst der Profitabilität wieder zu erkennen.
Denn wie der Sport an sich ja eine schöne Sache ist, so ist
es auch das begeisterte Engagement der Jugend. Wäre da nicht die unerbittliche
Dynamik der Hyper-Kommerzialisierung, die die allerletzten Ecken unseres Lebens
erfasst und deren wir alle Unterworfen sind. Es sei denn, wir steigen ganz aus.
Was ja wiederum aus verschiedenen Gründen äusserst schwierig ist...
Manuel
Dawson
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