Volksabstimmungen in der Schweiz können
sich schnell einmal zu einem öffentlich Zugängen Politkrimi entwickeln, da das
Volk als Souverän das (im Vergleich zu anderen Ländern ziemlich
aussergewöhnliche) Recht hat, ungeachtet der Empfehlung ihrer Regierung, den betuchten
Interessensverbänden und den Expertenwarnungen, einfach ein „Stopp, so nicht!“
einlegen darf und kann. So war es denn auch bei der von der SVP lancierten und
nun knapp gewonnenen „Gegen Masseneinwanderung“ Initiative
Die Reaktionen zu diesem Resultat erzeugten
die vorhersagbaren Wellen und Wogen der Entrüstung, Hyperbel und Panik (der
Jubel blieb im Vergleich recht gedämpft): die Schweiz vor dem wirtschaftlichen
Abgrund, als nun isolierte Insel der glückseligen Xenophoben, als verwöhntes
Bauernvölklein das den Röstigraben aufgerissen hat und der EU eine Ohrfeige verpasste.
Treffen diese Aufschreie aber tatsächlich
zu?
Zumindest sind sie diskutabel: die Schweizer
Wirtschaft brummte Jahrzehnte lang auch ohne die Personenfreizügigkeit und ein
Land worin bald vier von zehn Personen einen Migrationshintergrund hat und wo
dennoch ein beachtlicher sozialer Frieden herrscht, kann nicht einfach pauschal
als Xenophob abgestempelt werden. Ein verwöhntes Bauernvölklein wiederum würde
wohl auch nicht, zum Unverständnis der europäischen Nachbarn der Schweiz, wiederholt
dezidiert „Nein“ zu mehr Ferien stimmen. Und wenn in der Romandie immer noch vier
von zehn Personen für die Initiative
gestimmt haben und wo in der Deutschschweiz etliche Bezirke (und alle urbanen
Kantone) die Initiative abgelehnt haben, so kann nicht von einem echten
Röstigraben ohne zahlreiche Berührungspunkte gesprochen werden. Und letztlich
die Ohrfeige für die EU ist eher als Ohrfeige für das europäische politische
Establishment zu deuteten als für die Europäischen Bürger, die, hätten sie ein
ähnliches Initiativerecht wie in der Schweiz, wohl in den meisten Fällen
ähnlich gestimmt hätten.
Die Gründe warum so viele Schweizer dafür
gestimmt haben sind mannigfaltig, wobei abgesehen von Ängsten einer
Überfremdung und die Überlastung etlicher Infrastrukturen vor allem ein generell
wachsendes Unbehagen mit der gängigen Wirtschafts- und Konsumideologie, dass „mehr“
automatisch immer „besser“, gespielt haben dürfte. Ein höherer BIP – sogar wenn
es pro Kopf ist - ist nicht gleich ein höherer Lebensstandard. Aber sogar wenn
man diese Annahme pauschal akzeptieren würde wie dies von vielen
Wirtschaftsvertretern explizit oder implizit propagiert wird, ist ein Vergleich
mit Deutschland hier interessant, denn obwohl Deutschland eine nun schrumpfende
Bevölkerung hat, hat das BIP in den letzten 10 Jahren um 10.0% zugenommen,
verglichen mit 19.2% in der Schweiz. Das BIP pro Kopf aber hat in Deutschland
aber um 10.55% zugelegt, während es in der Schweiz aber um nur 7.29% zunahm (1).
Es braucht also nicht unbedingt 80‘000 neue Einwanderer pro Jahr um eine
wirtschaftliche Produktivitätssteigerung zu erzielen.
Dennoch geben neuste Forschungserkenntnisse
Hinweise dazu dass, zumindest in industrialisierten und verkehrstechnisch gut
vernetzten Ballungsräumen eine beachtliche, statistisch relevante Korrelation
vorhanden ist zwischen der Bevölkerungszahl und dessen wirtschaftliche
Produktivität und Innovation. Wenn sich die Einwohnerzahl einer Stadt
verdoppelt, so erhöht sich deren wirtschaftliche Produktivität um 130%, was
bedeutet dass sich die pro Kopf Produktivität deutlich erhöht. Grössere Städte,
bessere Vernetzung und Flexibilität, bessere Ausschöpfung von Talenten, mehr Innovation
könnte die Erfolgsdevise von solchen Städten lauten. Es gibt aber ein paar
Wehmutstropfen mit dieser Betrachtungsweise: je grösser eine Stadt, umso höher
ist deren Kriminalitätsrate. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass
Zürich in einer Studie explizit als ein Beispiel erwähnt wird wo ein
Bevölkerungswachstum aber nicht mit einer Erhöhung der Kriminalitätsrate
einhergegangen ist. Dies ist für die Autoren der Studie auf die enormen Investitionen
in den öffentlichen Verkehr zurückzuführen, wobei Zürich heute eine
Metropolregion ist die sich auch zahlreichen kleineren Städten zusammensetzt,
deren Bevölkerung aber in kürzester Zeit ins Zentrum reisen können (2). Die ÖV
Investitionen – auch wenn sie vom Staat subventioniert sind – lohnen sich also
nicht nur um den Lebensstandard hoch zu halten, aber auch Volkwirtschaftlich.
Eigentlich Logisch, denn je grösser das zu verfügbare Talent-Pool, umso besser
die Stellenbesetzung und vor allem heutzutage wenn in einer Beziehung beide
Partner berufstätig sind. Wenn also ein(e) PartnerIn einen neuen Job in St.
Gallen findet und der/die andere aber noch seine/ihre Stelle in Zürich behalten
möchte, ist es mit einem guten, erschwinglichen ÖV Angebot durchaus zumutbar,
ohne dass der eine oder der Andere seinen Job aufgeben müsste oder eine
suboptimale Stelle am anderen Ort annehmen müsste.
Rein volkswirtschaftlich dürften sich die
staatlichen ÖV-Subventionen also durchaus lohnen, wobei die ökologische Bilanz
hier aber nicht unbedingt glänzt. Gewiss, eine weitere Zersiedlung der kleinen
Schweiz ist denn auch ein grosses Thema, das möglicherweise von der EcoPop
Initiative in einigen Jahren direkt angegangen wird. In diesem Zusammenhang
wird schon seit langem diskutiert wie viele Personen denn in der Schweiz Platz
hätten – wo das Schreckensgespenst die 10 Millionen Schweiz ist. Wenn man aber
bedenkt, dass nur alleine im Schweizer Mittelland flächenmässig Platz für 10
New York Cities wäre, dann realisiert man, dass es noch reichlich Platz für
mehr Menschen, Strassen, und Häuser in unserem Land hätte. Da die New Yorker –
ähnlich wie die Schweizer – sich grösstenteils nicht vorstellen könnten
auszuwandern, kann man nicht a priori von einer unglücklichen 10 Millionen
Schweiz sprechen. Vielmehr muss man in Erwägung nehmen, dass wenn das
Bevölkerungswachstum so unkoordiniert und unverdichtet wie bis anhin wächst,
dass es zu einer Lebensqualitätseinbusse kommen würde: denn NYC ist bekanntlich
eine dynamische und lebenswerte Stadt gerade weil es in die Höhe gewachsen ist.
Was also spricht dagegen, wenn man in Zürich Nord oder West ein Mini-Manhatten
bauen würde? Könnte das nicht zu einer urbanen Dynamisierung führen das auch
eine Lebensqualitätssteigerung mit sich brächte?
Die Konsequenzen und involvierten Faktoren
die die Masseneinwanderungsinitiative mit sich bringt sind also vielschichtig
und es gibt wohl weder unabdingbare Desaster noch einfache Lösungen.
Manuel Heer Dawson
(1)
http://www.schweizamsonntag.ch/ressort/meinung/die_verklaerte_zuwanderung_die_bip-pro-kopf-luege/
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